Projekt 2017 abgeschlossen, Job done!
Der Ötztaler Radmarathon, auf den ich mich die letzten 8 Monate vorbereitet hatte, liegt nun schon fast zwei Monate hinter mir. Genug Zeit um diesen Irrsinn Revue passieren zu lassen. Hier nun meine Eindrücke und Gedanken zu einem der härtesten Wettkämpfe in meiner bisherigen sportlichen Laufbahn. Ironman, 24h MTB Rennen, MTB TransAlp Challange…Wettkämpfe, die man einfach mal erlebt haben muss…finde ich auf jeden Fall. Aber der Ötztaler Radmarathon schießt den Vogel ab. So was habe ich echt noch nicht erlebt, diese Höhen und Tiefen die man während der Tour durchschreitet sind einzigartig und fast unbeschreiblich. Es gibt kein größer Leid, als das was man sich selbst andeit 🙂
Sölden den 27.08.2017. Ganz schön Frisch ist es, als wir gegen kurz nach 6 Uhr von Buggl’s Appartments zum Start los rollen. Zum Glück gibt’s aber keinen Regen, wie beim 3 Länder Giro. Für den Nachmittag sind zwar Schauer vorausgesagt aber mein Plan ist, das ich bis dahin schon längst geduscht bin 🙂
Die 25min Wartezeit im Startblock vergehen ziemlich schnell aber die Nervosität steigt von Minute zu Minute. Wie werde ich meine Ötzi-Premiere wohl meistern? Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf. Danke an Kai, meinen Team-Kollegen, mit dem ich die Wartezeit gut wegquatschen konnte.
6:45 Uhr, scharfer Start. Da ist es wieder, mein Problem mit der Startnummer am Lenker….der Schalter im Kopf macht klick…das Rennen beginnt….das ist jetzt kein Spaß mehr, jetzt nur noch volle Konzentration und Kette rechts und hüa.
Die ersten 30 Kilometer geht’s von Sölden runter nach Ötz. Gespenstige Ruhe im Feld, kaum jemand spricht, nur das quietschen der Bremsen und das Schnurren der Laufräder ist zu hören. Genau mein Ding, mit 60-70 Sachen und hunderten von Radfahrern, Lenker an Lenker, Rad an Rad im Pulk dahin rauschen. Volle Konzentration ist hier gefragt, denn der Weg zum Ziel ist noch weit.
In Ötz angekommen geht es scharf rechts in den Kühtai rein. 18,5 Kilometer (1200Hm), bis zu 18% Steigung verrät mir mein Roadbook für die vier Pässe, welche ich mir am Vortag oben auf das Oberrohr geklebt hatte. Meine Marschtabelle sah eine Zielzeit von 9:30h vor. Mal sehen, ob das passt. Aus Spaß wird Ernst…jetzt geht’s erst richtig los. Es ist genau so, wie alle vorher gesagt haben.
Gemäß Plan wollte und konnte ich an meinem Schwellenpuls den Kühtai rauf donnern. Wattorientierte Leistungsdaten wären im nachhinein definitiv besser gewesen denke ich mir, aber wat nich is, is nich. Also Augen auf den Puls, Kopf einschalten und rauf.
Die ersten Kilometer sind schon bretthart und so mancher heißblütiger Mitstreiter „knallt“ an mir vorbei. Nur nicht überzocken Commander, denke ich mir so und rede zwischendurch viel mit mir selbst um ruhig zu bleiben. Das erste Zwischenziel ist der Kühtai, das gilt es zu erreichen! Nach ca. 8km im Kühtai dann der erste Schlag in den Nacken, was soll das denn jetzt? Ein Krampf im hinteren linken Oberschenkel bahnt sich an. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Und bevor jetzt einer auf die Idee kommt zu denken, das lag bestimmt an der fehlenden Nahrungsaufnahmen, dem sei gesagt, nein daran lag es nicht!
Im nachhinein stellte sich heraus, das ich den Sattel an meiner neuen Maschine leider etwas zu tief und zu weit nach hinten eingestellt hatte. Wäre wohl doch besser gewesen mit der „kleinen Schwalbe“ zu fahren. Tja, hinter her ist man immer schlauer.
Gut das ich die Situation mit Krämpfen umzugehen schon im 3 Länder Giro üben konnte, somit fiel es mir nicht allzu Schwer mit einer höheren Trittfrequenz den Schmerzen einfach weg zu treten. Nach ein paar hundert Metern setzte Linderung ein und ich konnte „locker“ weiter fahren. Das war die erste mentale Prüfung dachte ich und ich wusste es kommen noch ein paar.
Oben am Kühtai angekommen schaute ich auf meine Marschtabelle und verglich sie mit meinem Garmin. Yeah, 20 min vor dem Plan, das stimmte mich nach den Krämpfen doch recht positiv und in meinem Kopf kreiste auf einmal das Ziel, Sölden in 9h zu erreichen. Kurz an der Labstation die Flaschen auffüllen und weiter ging’s.
Die erste Abfahrt gut 15 Kilometer Adrenalin pur warten auf mich. Ärmlinge hoch, Windweste zu und ab dafür. Im aerodynamischen Peto Saganstyle geht es streckenweise dreistellig den Brenner entgegen. Von den Kuhgattern, die ab und zu quer über die Straße laufen bekomme ich nur ein kurzes brrrrt mit. Was ein geiles Feeling 🙂 🙂
Unten in Innsbruck galt es nun, die richtige Gruppe zu finden um die gut 40 Kilometer den Brenner rauf zu jagen. Ist ein bisschen wie Lotto spielen. René und Fridel, zwei erfahrene Ötztal-Veteranen gaben mir am Vortag noch den Tip, wenn die Gruppe läuft auch einfach mal auf die Zähne zu beißen und mit zu rollen. Den Puls einfach mal nicht zu beachten und sich auf sein Gefühl zu verlassen. Die erste Gruppe in der ich mich in Innsbruck wiederfinde läuft dann aber leider nur semioptimal und ist mir eigentlich zu langsam. Ich rede mir wieder Ruhe ein und warte auf den nächsten Zug, der zum Glück nur 5 Minuten auf sich warten lässt. 6 Italiener führen einen Zug von knapp 30 Leuten an, wechseln super durch und ich kann mich locker hinten ran hängen. In einem Affenzahn donnern wir den Brenner rauf. Mein Garmin zeigt zwischenzeitlich 40Km/h ….unglaublich….aber die Beinchen trommeln locker vor sich hin. Ich fühle mich gut und im Sog der Gruppe kann ich wie geplant ein paar Körner sparen. Läuft Perfekt, jetzt bloß das Essen und Trinken bei der ganzen Euphorie nicht vergessen. Der Jaufenpass kommt bestimmt. Oben am Brenner, gut 127km in den Socken, kurz an der Labe wieder die Flaschen auffüllen und für kleine Radfahrer um die Ecke. Ein kurzer Blick auf meinen Garmin läßt mein „neues“ Ziel, die 9h Marke in meinem Kopf weiter wachsen. Jetzt geht es locker runter nach Sterzing an den Fuß des Jaufenpass. Die Abfahrt gehe ich relativ locker an und nutze sie um die Speicher aufzuladen. Ich sehe zu, dass immer 10% Reserve in meinen Manövern vorhanden sind. Es sind ja immerhin noch gut 100km bis ins Ziel und Unfälle Bergab hatte ich bis dahin schon einige gesehen.
Ein kurzes Piepen, als ich über die Matte fahre deutet an, dass die Zeitmessung hoch zum Jaufenpass beginnt. Die 15,5 Kilometer (1130Hm) sind schon fast ein Genuss. Ziemlich schnell finde ich meinen Rhythmus. Der Jaufen scheint mir zu liegen denke ich mir so. Aber leider zu früh gefreut. Als ich aus dem Sattel gehe, um ein paar Kurbelumdrehungen im Wiegetritt zu machen, macht mein unterer Rücken zu und ich bekomme einen Hammer-Krampf, erst im linken Oberschenkel, dann zwei Sekunden später im rechten Oberschenkel. Den kurzen Schlenker, den ich leider machen muss, um nicht vom Rad zu fallen, wird von meinen Begleitern mit nicht sehr freundlichen Worten kommentiert. Was für Spacken denke ich und konzentriere mich darauf die Krämpfe mit einer höheren Trittfrequenz aus den Beinen zu fahren. Gefühlt dauert das ein Ewigkeit. Aber es funktioniert auch hier wieder. Auf meine mentale Stärke kann ich mich heute auf jeden Fall mal verlassen.
Kurz drauf purzeln mir die Spacken von eben wieder entgegen. Einer nach dem anderen kriegt jetzt sein fett weg, aber nicht verbal, wie man von mir eigentlich erwarten könnte, sondern in Form von Tempo. Zwei von denen versuchen dran zu bleiben aber drei Kehren weiter ist es auch um sie geschehen. Gut das ich am Brenner ein paar Körner sparen konnte. Man sieht sich halt immer zweimal 🙂
Für meinen Geschmack ist der Jaufenpass der schönste der vier Berge im Öztaler. Es geht zunächst über schöne Straßen durch den Wald, später gibt es dann ein paar Kehren mit einem schönen Weitblick auf’s Ötztal und die paar letzten Kilometer vor dem 2090 Meter hohen Gipfel bieten ein bisschen Alp d‘Huez Flair. Die Zuschauer, die den Weg hier rauf gefunden haben, jubeln und feuern uns an als wären wir Profis. Das pusht nochmal ganz gewaltig und zwingt mich ein paar extra Körner zu investieren! Weitere Motivation kommt von meinem Garmin, die 9h sind definitiv drin!
An der Labestation wieder das gewohnte Szenario, Flaschen auffüllen, kurz was festes rein schieben und weiter. Was jetzt kommt, könnt ihr euch vorstellen, oder? Ja genau, die nächste Abfahrt. 🙂
Aber im Gegensatz zu den vorherigen Abfahrten ist das mit Abstand die anstrengendste der Tour. Eine technische durchaus schwierige Abfahrt nach St. Leonhard runter, 22km mit vielen Kurven und Kehren, gespickt mit Längsrillen, schlechten Straßenverhältnissen und Licht-Schatten-Spielen. Wobei mir das Licht und Schattenspiel echt die meisten Probleme bereitet. Jetzt heißt es also nochmal höchste Konzentration und wachsam sein. Vor allem bei den Überholmanövern, denn man weiß ja nie, was der Kollege vor einem in den nächsten Sekunden so macht. Macht er einen Schlenker nach rechts oder links, Bremst er urplötzlich ab? Oder hat er einen Defekt und kommt ins Trudeln? Szenarien, die ich auf den 22 Kilometer bergab definitiv nicht brauche.
Nach der Abfahrt dann In St. Leonhardt, um die Spitzkehre rum und rein in den finalen, schier endlos langen Anstieg rauf zum Timmelsjoch. Die höchste Bergkategorie für heute – 28,7 Kilometer und 1759Hm am Stück bis zur 2509m hohen Bergwertung. Und das mit gut sechseinhalb Stunden in den Schochen. Oh man, warum tu ich mir das an geht mir durch den Kopf. Das wird kein Spaß!
Direkt nachdem ich die nächste Zwischenzeitmatte überrollt habe, versuche ich wieder meinen Rhythmus zu finden. Natürlich gibt es auch hier wieder die Experten, die hier unten rein rollen als wären die 28,7 km nur ein klacks. Respekt denke ich aber besinne mich lieber auf mich, meine Firma Schenkel und meinen Kopf. Jetzt nur nicht überziehen, das Ding hier geht noch gute 2h. Die ersten Kilometer sind eher flach und laufen erstaunlich gut. Man ist eigentlich den gesamten Anstieg nur noch mit sich und seinen Gedanken. Ein Blick zu meinen Mitstreitern verrät mir, dass sie das gleiche fühlen. Es herrscht absolute Ruhe um mich herum, keiner ist mehr groß zum quatschen aufgelegt, nur noch ein Lächeln und ein Schnaufen dient als Kommunikation.
Es wird zäher und zäher. Die Oberschenkel schmerzen unaufhörlich. Immer wieder ermahnte ich mich zum regelmäßigen Trinken und Essen. Der Anstieg zog sich hin und wollte einfach nicht enden. Nach knapp 20 km war ich endlich an der Labe Schönau. Kurz den Hobel abstellen, die Flaschen füllen, schnell noch einen Becher Brühe in mich rein kippen und weiter geht‘s. Für ein paar Kilometer ging es erstaunlich flott, weil es nach der Labe wieder etwas flacher war. Doch dann meldet sich der rechte Oberschenkel plötzlich und besorgt mir einen Krampf der Extraklasse. Kurz darauf zieht auch der linke nach. Ich bekomme für einen kurzen Moment leichte Panik. Sollte das jetzt das Ende sein? DNF in der Ergebnisliste? Aufgeben? Schmidti, sage ich mir, heute und so kurz vor dem Ende definitiv keine Option!!!
Locker bleiben, versuchen den Kopf zu entspannen und einen kleinen Gang rein. Okay, bin schon im letzten Gang. Noch ein Gel reinschieben und dann heißt es, Augen zu und durch. Ich gehe nochmal locker in den Wiegetritt, und wieder zurück in den Sattel. Mein Kopf arbeitet, ich muss locker bleiben und wieder in den Rhythmus kommen. Ein paar Minuten später ist der ganze Zirkus auch schon wieder vorbei. „Firma Schenkel macht jetzt keine Fisematenten mehr. Aber von nun an war es schon ein bisschen eine Tour der Leiden. Immer wieder sehe ich Fahrer entkräftet am Strassenrand sitzen oder liegen. Ich überhole ständig andere Fahrer und beschimpfte den Berg und meine Beine mehrfach laut vor mich hinmurmelnd.
Da ich das Timmelsjoch vorher noch nie gefahren bin, konnte ich nur anhand der Kilometer auf meiner Marschtabelle abschätzen, wie weit es noch ist. Endlich, nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit dann der Tunnel.
Von René wusste ich, dass ich dann kurz vor dem Gipfel bin. Nochmal kurz in den Windschatten eines anderen Fahrers und dann war sie da, die Passhöhe Timmelsjoch. Kurzer Blick auf den Garmin: Minus 30 Minuten auf meine 9:30h Marschtabelle. Geilomat, die 9h sind drin!!!
Mit allem was noch in den Schenkeln war, ging’s dann die vorletzte Abfahrt runter. Zum Glück ist die Abfahrt nicht besonders anspruchsvoll. Aber beim Versuch nach jeder Kurve nochmal voll anzutreten und zu beschleunigen, gaben meine Beine die eindeutige Rückmeldung „Kollege, wir haben fertig!“.
Dann rein in den Gegenanstieg. Ich wusste zwar, dass er kam, aber nicht wie lang er war. Zum Glück war er vergleichsweise human und schnell bewältigt. Da war sie dann auch schon, die Mautstation, die nun die allerletzte Abfahrt ankündigte.
Also nicht lange fackeln und runter in Richtung Tal jagen, ein paar Spitzkehren und die Flachstücke mit allem was noch ging. 500 Meter vor mir sah ich dann eine kleine Gruppe mit vier Mann, irgendwie musste ich versuchen in deren Windschatten zu kommen. Blick nach hinten? Da kommt keiner der noch helfen kann. Also alles was geht, gefühlt ging nicht mehr viel. Oder doch? Keine Ahnung. Einfach die letzten Körner mobilisieren und treten was das Zeug hält. Drei Spitzkehren weiter hatte ich die Gruppe dann eingeholt. Wir fuhren die Kurven recht vorsichtig und eigentlich viel zu langsam. Aber keiner von uns wollte sich so kurz vorm Ziel noch auf‘s Gesicht legen. Lieber mit 9:10h, dafür aber gesund und munter im Ziel ankommen, sagte ich mir.
Dann endlich der Ortseingang Sölden. Meine erfahrenen Ötztaler Kollegen hatten mir gesagt ich soll den Moment genießen. Aber im Moment selber kein Gedanke daran, obwohl jeder Fahrer durch den Jubel der Spalier stehenden Fans durch Sölden getragen wurde. Ich fuhr alles was ging und wir wechselten sauber durch, jeder in der Gruppe war am Limit. Keine Ahnung, wieweit es noch war. Ein kurzer Blick auf den Garmin, 68km/h, krasses Ding…. und da war sie, die letzte Kurve, jetzt nur nicht ausrutschen, rum um die Kurve, letzter Antritt und über den Zielstrich. Geschafft, Jobs done! Was ne Nummer…
Ein schneller Blick auf meinen Garmin ließ mich hoffen, da stand was von 8:58 Stunden. Nettozeit also unter 9h, cool. Mal sehen, was die offizielle Zeit sagen würde.
Dann erstmal runter vom Rad, durchatmen und erholen. Ich war total platt, die Beine schmerzten wie nie zuvor, aber ich war total glücklich es geschafft zu haben und dann auch noch in dieser Zeit. Dann kam meine offizielle Zeit: 9:07:56h. Yes, die 9-Stunden-Marke zwar knapp verpasst aber trotzdem happy. Wahnsinn, die 10-Stunden hatte ich zuvor als realistisch angesehen. Die 9-Stunden-30-Zwischenzeiten hatte ich mir auf die Marschtabelle geschrieben. Aber diese Zeit hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Mein Bruder und Coach hatte mir das absolut zugetraut und mich noch am Abend vorher dazu ermutigt mich mit den 9h auseinander zu setzen. Ich bin froh, das er mich auch zum Ötztaler wieder topfit an den Start gebracht hat.
Mein besonderer Dank geht aber an meine Frau und meine zwei Püppis. Sie haben einen großen Anteil an dieser Bomben Zeit. Man brauch für den Ötztaler definitiv eine Familie, die einem den Rücken frei hält. Danke, ich liebe euch!